Freitag, 18. April 2025

Wie Urk enstand


 Dieser Beitrag spielt in den ersten Tagen des August 2024

Eine Box ist reserviert

Nach dem Drama in der Schleusenkammer mit dem schliesslich doch noch geretteten Golden Retriever sind wir sehr erleichtert, diesen Ort hinter uns zu lassen und auf dem IJsselmeer zu segeln. Natürlich trüge unser Hund eine Schwimmweste an Bord und hätte damit wesentlich grössere Chancen, gleich nach dem über Bord-Gehen mit einem Rettungs- oder Bootshaken am Handgriff aus dem Wasser gefischt zu werden. Mit vereinten Kräften und mit Hilfe eines Surfbrettes des Nachbarbootes gelang die Rettung dank kaltblütigen Handelns der Schleusencrew auch unter den gegebenen misslichen Umständen ansehnlich rasch (vgl. "Hundeschwumm in Lelystad").

AIS sei Dank! Marion und Christian sehen bald schon unseren Plan, nach Urk zu segeln und reservieren uns eine Box im Hafen. Vielen lieben Dank dafür. Es ist einfach grossartig, Freunde zu haben. (Übrigens: Freunde erkundigen sich, während dies geschrieben wird, wo wir denn stecken. Sie seien übers Wochenende im Hafen und vermissten uns! Doch für uns ist es noch nicht Zeit einzuwassern, denn erst muss endlich die Opferanode an der Schraube ausgewechselt werden! Sollten wir das vernachlässigen, bestünde die Gefahr der Selbstzerstörung der Schraube, wodurch das Boot ohne Wind manövrierunfähig würde.)

Wir freuen uns aufs Wiedersehen im Hafen Urk mit der Nexus-Crew, nehmen zusammen einen gemütlichen Anlegedrink und gehen im "Zeebodem" gemeinsam zum Abendessen.
Nach dem Schleusen wird noch die Brücke gehoben
Von Hoorn über Lelystad nach Urk.

Die Nexus wartet hier auf uns.
Der Leuchtturm wacht über seine Schiffe und das Städtchen.

So entstand Urk

Es war ein wunderschöner Abend, an dem wir uns gegenseitig auf die Höhe brachten, was die weiteren diesjährigen Pläne segelnd und zu Lande sind.

Heute ist der erste August. Wir feiern den 733sten Geburtstag unseres Landes, lassen aber diesmal die Flaggengala in ihrem Beutel unter Deck, obwohl sich später durch den Winter hin immer mehr zeigen wird, wie sehr man seine Heimat und den Frieden, den sie bietet, schätzen muss. 2019 verbrachten wir den 1. August in Gedser, Dänemark. Unsere Liegeplatz-Nachbarn erkundigten sich über das zu feiernde Ereignis, weil wir im Regen zu Ehren unseres Landes die Flaggengala setzten. Sie liessen es sich nicht nehmen, uns zu diesem Geburtstag zu beschenken. Eigentlich ist es ein nützliches und wertvolles Geschenk, das wir dankend annahmen und uns mit einem Borrel dafür revanchierten. Doch noch sehr lange segelten die Skipper-Pfeifen aus salzigem salmiakhaltigem weichem Bärendreck (wie wir hier sagen, weil ein süddeutscher Herr Bär lange Zeit das Patent auf die schwarzen Schlangen inne hatte), Lakritz, wie der offizielle Name heisst, mit uns mit, bevor wir eine davon zu probieren trauten. Ja, es schmeckt halt eben nach salzigem Lakritz, war aber sehr lieb gemeint, denn es ist eine nordische Spezialität, würdig eines Landes-Geburtstages. Noch wertvoller macht diese Süssigkeit seine Seefahrts-Geschichte. Denn vor allem Länder, die dank ihrer Küsten- und Hafenstädte am weltweiten Handel teilnehmen konnten, hatten die Möglichkeit, Süssholz zu importieren und zur "Süssigkeit" Lakritz zu verarbeiten. Danke, ihr lieben Nachbarlieger!

Ein Hafenspaziergang lehrt uns an diesem Schweizer Geburtstag auch einiges aus Urks Entstehungsgeschichte. Wir kleben ja immer so ein bisschen an den Orten, welche uns in ihrem Hafen ein Aufenthaltsrecht bieten. Wir schlendern herum, kaufen ein, schauen uns die Architektur im Umkreis von einem guten Kilometer um den Hafen herum an, versuchen im übertragenen Sinne hinter die Fassaden zu gucken und etwas über die Lokal-Historie zu erfahren. Manchmal gelingt es mit Prospekten, anders mit Informationstafeln, aber auch mit dem allgegenwärtigen Lexikon Internet, aus dem wir zu all unseren Fragen Ergänzungen erfahren über schon gesammeltes Wissen. Wenn man bedenkt, dass "Meyers Lexikon" 25 rund sieben Zentimeter dicke Bände umfasste, die alle zwei, drei Jahre um einen rund drei Zentimeter dicken Band ergänzt wurden, weiss man es erst so richtig zu schätzen, was die elektronischen Informations-Quellen bedeuten. An Bord ist kein Platz für ein solch umfangreiches Nachschlagewerk. Es ist nie aktuell, umfasst nur sehr wenige Bilder und Karten, mancher Band muss dank all der vorhandenen Querverweise zur Hand genommen werden und Mengen Papier werden verbraucht, damit (für Leute mit normalem Gedächtnis) die eben vernommenen Fakten nicht gleich wieder der Vergessenheit anheimfallen. 

So wird heute unser Blick öfter auf Tafeln gelenkt, die nicht der Konsumgüter-Werbung dienen, sondern aufmerksam machen auf Urks früheres Bestehen. 

Vor über 1000 Jahren wurde die damalige Insel der Zuiderzee, Urk, das erste Mal als Besitz von Köln erwähnt, womit es viel älter ist, als die Schweiz mit ihren gut 700 Jahren. Man glaubt, dass der Ort seinen Namen vom Meeressäuger Orca erhielt. Dass diese Fischerinsel mit dem Abschlussdeich, der aus der Zuiderzee das IJssel- und Markermeer machte, sogenannt eingepoldert wurde und nun am Festland hängt, das zu Flevoland gehört, macht manchem Urker auch 100 Jahre danach noch zu schaffen. Dass Urk eine Insel war, hört man noch am Ausdruck "auf" (op) Urk. Man sagt nicht "in" Urk.

Der Autorin Lieblings-Krimi-Autor aus Amsterdam, Appie Baantjer, wurde wenige Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges auf Urk geboren. In Amsterdam wurde er Rechercheur der Kriminalpolizei mit Büro an der Warmoesstraat im Jordaan-Quartier.

Vor allem die Fischer hatten und haben es schwer, denn nun heisst es für sie aus dem Binnenwasser IJsselmeer jedesmal durch die Lorentz-Sluis bei Kornwerderzand weit hinaus in die Waddenzee zu fahren, um ihrem Beruf nachzugehen. Zudem geht der Schiffbau schnell bergabwärts, denn niemand braucht mehr die Botter, wie die Fischerei-Schiffe auf Urk hiessen. Auch das Imprägnier-Handwerk, welches verhinderte, dass Leinen und Segel zu schnell der Fäulnis anheimfielen, ist plötzlich nicht mehr nötig. Was vielen nützt, indem der grosse Handel nicht mehr auf die Gezeiten angewiesen ist, um Ware nach Amsterdam zu liefern, schadet der Bevölkerung auf Urk, die sich ihrer Tradition und Herkunft beraubt sieht. Natürlich bringt der Tourismus eine gewisse Entlastung durch die Verlagerung der Einkünfte auf diesen Sektor. Doch gleichzeitig steht Urk, wie viele andere Touristen-Orte auch, unter Druck durch so viele Einflüsse und Forderungen ebendieser Reisenden, die ihre Ansprüche erfüllt sehen wollen. 

Immerhin die Nationale liessen wir stehen am 1. August.

Den Feiertags-Apéro kredenzt die Nexus-Crew.
Orc, wie Urk vor über 1000 Jahren hiess.
Der erste Orca zu Ehren von Urks 1000jährigen Bestehen ist längstens
zerfallen. Dieser Neue aus 2013 ist kombiniert mit einem Wasser-Spiel.
Über den Bottern die ausgehängten Netze, die imprägniert wurden.
Die Urker Botter vor der Werft, der ellege .
Werftgelände

Vor einigen Jahren spazierten wir durch dieses Gelände, die "ellege"
und wunderten uns darüber, dass jemand so viel grüne Farbe
ins Wasser schüttet. Kürzlich erfuhren wir in ganz anderem
Zusammenhang, dass das grüne Zeug Schaum der Algenblüte ist.
Offenbar stand das Wasser damals grad höher.
Alte Netze aus Narurmaterialien, die nach dem Imprägnieren (taanen)
zum Trocknen hängen.
Im Imprägnierkessel wurden Taue und Netze mit einer Gerbsäure-haltigen
Lauge gekocht und damit imprägniert, getaand. Segel wurden damit 
gebürstet.
Eben eine von den Informationstafeln, die Einblick in
Hintergründe geben.

Auf Urk werden die Kinder gebracht

Normalerweise werden bei uns die Kinder durch den Storch gebracht. In vielen Gegenden aber findet man sie auch in den Kohlköpfen auf dem Feld. Nicht hier in Urk. Hier kommen die Kinder vom Ommele-Bommele-Steen, damit auch Albert Cornelis (Appie) Baantjer. 

Der Vater ruft in der kritischen Stunde die Hebamme, mit welcher er zum Ommele-Bommele-Steen hinausrudern muss, um sein Kind abzuholen. Die Hebamme pflückt es von dort und erklärt dem Vater, ob es ein Mädchen oder ein Junge sei.

Mit dem heutigen Spaziergang gehts unter anderem zur Stärkung ins Café De Kaap und auf dem Heimweg zum Strandpaviljoen, nach dem Besuch des Leuchtturms, des Fischermonumentes und des Ommele-Bommele-Steen. Letzteren schauen wir uns jedoch nur vom Ufer her an. Wir wollen uns kein Kleines abholen, dafür sind wir nun doch schon zu weit über die Lebensmitte hinaus. 

"Zuhause" nehmen wir mit der Nexus-Crew einen Apéro auf der BonBini. um uns vorübergehend zu verabschieden, bevor wir morgen früh Urk verlassen werden.

Der Urker Leuchtturm geleitet die Schiffe Tag und Nacht
sicher übers IJsselmeer.
Das Fischersmonument zur Erinnerung an die auf dem Meer 
umgekommenen Fischer wurde durch Königin Juliana enthüllt.
Kerkje aan Zee.
Lale Anderson op Urk.
Quelle ist angegeben.
Der ommelebommelesteen ist nur angedeutet.
Offenbar holt man sich heute die Kinder schwimmend ab.
Vater mit Hebamme im Boot.
Der Vater guckt verwundert zu den Schwimmern, da er noch
der Ansicht ist, man hole sein Kind mit dem Boot.
Alles ist gut gegangen, die Hebamme hat das Kind und Urk 
einen Einwohner mehr.
Legende von der Geburt in Urk.
Unser Etappen-Ziel, der Strandpaviljoen.
In der Nähe des Orca stehen Schiffsmodelle.

Einige Blümchen müssen noch sein, weil es doch immer wieder faszinierend ist, was die Mauerritzen nutzt und durchbricht.

Der Name passt: Hopfen-Klee.
Eine Nachtschattenart (Solanum).
Eine Hirseart (Mäusehirse).

Das wars mal wieder von Urk. Morgen wollen wir Segel setzen.

Das Ziel ist noch nicht gesteckt.
Die BonBini wird wieder einmal von einem befreundeten Boot aus abgelichtet.