Dieser Beitrag spielt im Juli 2024
Leinen los in den Wolkenbruch
Der Sonntag, 7. Juli wartet mit Wetter aller Art auf. Bei 996 hPa bleibt die Windrichtung West, doch die Stärke nimmt zu von angenehmen 4 Bft bis wilden 8 Bft, wechselt von strahlendem Sonnenschein auf die Sicht blockierende Schauerböen mit Gewittern und zurück.
Doch eins ums andere. Wie abgesprochen verabschieden wir uns um 8:45 Uhr mit der Brückenöffnung der Bos-Brug von Harlingen und nehmen das Fahrwasser über Boontjes Richtung Kornwerderzand. Wir stehen beim Auslaufen zweieinhalb Stunden vor Hochwasser Harlingen und genießen herrlichstes Segelwetter. Das tut jedesmal unglaublich gut, auch wenn wir das lange Liegen in einem Städtchen und unsere Ferienwohnung BonBini am Steg sehr geniessen.
Wie am letzten Sonntag die Aquarius, haben auch wir das Glück, direkt die Brückenöffnung für uns zu haben und in die Lorentz-Sluis bei Kornwerderzand einfahren zu können. Das Schleusen gelingt zügig und der Skipper warnt, Fender und Leinen müssten rasch verstaut sein, denn nach dem Vorhafen drohe eine Schauerbö - die noch gar nicht zu sehen ist.
Das ist noch zahm gesagt, eine Schauerbö! Fast schneller, als die Crew ihren Pflichten nachkommen kann, öffnet der plötzlich schwarze Himmel über dem IJsselmeer seine Schleusen zu einem Wolkenbruch ungekannten Masses. Wir haben null Sicht. Das GPS mit dem Plotter zeigt den vom Boot gewählten Kurs. Jedenfalls in der Kajüte. Der Bildschirm im Cockpit ist nicht mehr zu lesen, zu stark drückt der Regen ins Gesicht. Statt nach Süden, treibt uns der Wind offenbar nach Westen in den Windpark hinein, der am Abschlussdeich Strom erzeugt. Mit voller Motorkraft gelingt es dem Skipper, uns aus dieser fatalen Richtung zu befreien.
Wir sehen wieder einigermassen, wo wir sind. Es klart auf. Der Augenblick zum Segelsetzen ist gekommen. Jetzt alles nutzen, um aus der Gefahrenzone des Flachwassers mit seinen riesigen Säulen wegzukommen! Kein Reff, sondern volle Tücher. Doch der aufgebrachte Wettergott meint es nicht gut mit uns. Mit einem neuen, gänzlich unvorhergesehenen Wolkenbruch wird das Tuch nun selbst zur Gefahr, statt zum Antrieb aus dem Flachwasser, denn kaum sind die weissen Dreiecke oben und stehen gut, entschliesst sich die BonBini zu einem vorher nie geübten Sonnenschuss. Das heisst, sie legt sich kurzfristig aufs Wasser, bevor sie ebenso rasch wieder aufsteht und uns die Gelegenheit gibt, die geliebten Segel zu bergen.
So, das reicht für heute! Wir finden den Kurs Richtung Süd und fahren entlang des roten Tonnenstrichs gen Stavoren. Sozusagen in die Heimat für die BonBini. Doch noch gehts nicht zum Roggebroek. Keine Schleuse mehr heute, kein Platz suchen im Stadthafen, kein Anrufen in den Roggebroek. Heute legen wir uns nur direkt und ziemlich erschöpft in den fast leeren Oude Haven an die Mole. Die "Vrouwe van Stavoren" steht in Steinwurfweite, wohin uns die Füsse zum leckeren und entspannten Abendessen tragen.
Damit wir es uns nicht abgewöhnen, donnert Abends noch einmal ein Gewitter über uns hin, bevor um 22 Uhr mehrere Fischer auslaufen. Sie werden längere Zeit auf See verbringen.
Herrlicher Törn nach Kornwerderzand. |
Nein, nein, die Rettungswesten bleiben nicht hier liegen, sondern werden direkt umgelegt, sodass wir uns auch einpicken können. |
Von allen Seiten wurde das Cockpit diesmal gefüllt. |
Stavoren kommt in Reichweite. |
Ausnahmsweise gibt es Platz im Oude Haven. |
Der Coop auf dem 2014 neuangelegten Gelände mit Einfamilienhäusern und ihren Privat-Bootsplätzen davor, heisst nicht mehr so, sondern "PLUS", führt aber zum Glück noch dieselben Produkte.
Dafür erfährt man, dass Stavoren zur Zeit Störtebekers ebenfalls eine Hansestadt war. Diese Handelsvereinigung sorgte über Jahrhunderte dafür, dass ihre Mitglieder sicher Handel treiben konnten auf der Nord- und Ostsee, dass deren Bewohner über Produkte sozusagen aus aller Welt verfügten. Diesem gutlaufenden Betrieb setzte die Vrouwe van Stavoren der Sage nach in dieser Stadt ein Ende, indem diese Stavorerin übermütig wurde und mit ihrem Reichtum den letzten noch übrigen Seemann beauftragte, nur mit dem kostbarsten Gut, das je zu finden war, sich wieder zurück in die Stadt zu trauen. Es verging eine sehr lange Zeit, doch eines Tages zeigten sich am Horizont die bekannten Segel.
Nun herrschte grosse Freude im Städtchen und das Volk versammelte sich am Hafen. Mit dem Kapitän jubelte es und wusste seine lange Hungersnot beendet, denn das ganze Schiff war gefüllt mit goldenem Korn, dem wertvollsten Gut, das der Kapitän zu finden wusste und das jeden Haushalt wieder mit Brot versorgen würde. Niemand jedoch hatte mit der hochmütigen Vrouwe van Stavoren gerechnet! Voller Wut liess sie den Kapitän die ganze in ihren Augen miserable Ladung über Bord werfen, zerstörte sein Schiff und liess ihn verurteilen. Seither ist es mit Stavorens Reichtum getan, denn kein Schiff blieb übrig, um die alten Handelsverbindungen aufrecht zu erhalten. Doch vor der Stadt Richtung Lemmer liegt seither der Vrouwezand, auf dessen Flach noch heute manch ein Seefahrer strandet, wenn er sich nicht an die Seezeichen hält.
Tatsächlich geht die Kunde, dass sogenannte Retter in der Nähe des Vrouwezand lägen und einen gegen Gebühr aus der Untiefe wegzögen, wenn man sich doch einmal im genauen Tiefgang seines Bootes verschätzt hätte. So könnte man also sagen, diese Dame sorge mit ihrer hochmütigen Haltung noch heutigentags für den Lebensunterhalt einiger Bootseigner.
Der Montag wartet mit einem Gemisch aus Sonne, Regen und Bewölkung auf, was die nächsten Tage so bleiben wird. Das Barometer kann sich nicht entscheiden, ob es bei 996 oder 1000 hPa stehen bleiben soll, hingegen bleibt der Wind seiner Stärke zwischen 4 und 6 Bft treu.
Auch die Krankheit bleibt treu, zuerst nur der Autorin, dann aber befällt sie auch wieder den Skipper, während Silke auf der Ostsee, wo die Seeziege jetzt segelt, sich aus Solidarität auch einen Rippenbruch zuzieht.
Wir fragen einander oft, natürlich auch mit einem Schmunzeln auf den Stockzähnen, ob der 5. Festmacher, nämlich das Stromkabel, gelöst sei, bevor wir zum Ablegen ansetzen. Bei der Rückkehr vom Einkauf gehts gleich den Pollern entlang zur BonBini. Ein Segler ist daran, Ruder zu legen und den Gang einzulegen. Doch ein Festmacher scheint noch Landverbindung zu haben. Diesmal ist die Frage nicht witzig, sondern ernst gemeint: "Goedemorge! Is dat uw stroomkabel?" Tatsächlich war diese Crew sehr dankbar für diesen Hinweis, denn sie hätte anders wohl ein neues Kabel kaufen müssen.
Wir bleiben noch bis Donnerstag an der Mole liegen, was offenbar andere auch schön finden. Jedenfalls legen sie ohne Not bei uns im Päckchen an, obwohl noch Platz direkt an der Mole frei wäre. Das schätzen wir nun besonders, weil sie wieder mit ihren - gefühlt- Holzschuhen über unser Deck hinweg trampeln und darauf hin springen.
Selbstverständlich sind beide Erwachsenen gerade irgendwo am Einkaufen, als wir am Morgen ablegen wollen. Als Tüpfelchen auf dem i haben sie ihr Handy an Bord liegen lassen, sodass Teenie-Töchterchen ihre Eltern nicht erreichen kann. Bei deren Rückkehr meinen sie nur lakonisch, dass sie ja fürs Einkaufen beim Segelmacher kein Handy brauchen. Keine Entschuldigung, kein Bedauern, dass andere ihretwegen warten müssen. Immerhin steigen sie endlich auf ihr Schiff über und legen ab, damit wir das auch tun können.
Es ist immer wieder Hafenkino, zu sehen, wie präzise und mit grosser Ruhe diese Grosssegler sich aneinander und in Lücken legen. |
Die Schwalbe ist ne Schwätzerin,
sie schwatzt den ganzen Tag...